Das Teil, das über Leben oder Tod entscheiden kann, sieht denkbar unscheinbar aus. Ein kleiner schwarzer Block, kaum länger als 30 Zentimeter und keine drei Kilogramm schwer. In der Luft hält es Hubschrauber oder Drohnen auch dann auf Kurs, wenn ihr GPS-System ausfällt oder gar bewusst gestört wird. Experten nennen es Kurs-Lage-Referenzsystem, oder etwas kürzer, AHRS. Im Ukrainekrieg verwenden sowohl russische als auch ukrainische Soldaten Störsender, um gegnerische Truppen in die Irre zu führen oder Raketenangriffe umzulenken. Mit einem AHRS finden Flugobjekte wie Militärhubschrauber oder Drohnen dennoch ihren Weg.
Anfang September 2023 kaufte der Burgenländer Markus K. ein solches AHRS-System in den USA. 72.000 US-Dollar musste K. dafür hinlegen. Warum kaufte ein österreichischer Geschäftsmann ein solches Teil? Und was hatte er damit vor?
Diese Fragen beschäftigen inzwischen die US-Justiz. Der Name von K. taucht in Gerichtsdokumenten auf, die dem Journalistenteam Investigative Europe und der österreichischen Tageszeitung Der Standard vorliegen. Die Behörden ermitteln wegen eines mutmaßlich illegalen Beschaffungsnetzwerks für Luftfahrtkomponenten. Das AHRS und weitere Teile seien, so heißt es in den Dokumenten, über Indien nach Russland weitergeleitet worden.
Kurz nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine vor rund drei Jahren erließen die EU und die USA erste Sanktionen. Sie wollten damit auch verhindern, dass westliche Unternehmen russische Airlines mit hoch technisierten Teilen versorgen, die möglicherweise sogar für militärische Zwecke verwendet werden können. Der Handel mit Flugzeugkomponenten nach Russland war ab dann verboten.
Es ist ein offenes Geheimnis, dass Russland nach wie vor über Drittländer wie Kirgistan, Kasachstan, Türkei oder China sanktionierte Güter erhält. Die Recherche von Investigate Europe zeigt ein weiteres wichtiges Ziel für den Handel mit Flugzeugteilen nach Russland: Indien.
Das Rechercheteam konnte mehr als 700 Lieferungen sanktionierter Teile ausfindig machen – produziert von Konzernen wie Boeing oder der Airbus-Tochter Satair und mittels indischer Zwischenhändler schlussendlich nach Russland importiert. Es gibt keine Hinweise, dass diese westlichen Lieferanten illegal handelten oder dass sie wussten, dass ihre Teile nach Russland gelangen würden. Die Lieferungen erreichten einen Wert von insgesamt über 50 Millionen US-Dollar.
Das Geschäft mit den mutmaßlich verbotenen Lieferungen über Indien ist also lukrativ – auch für den Burgenländer K.. Kaum hatte er das Navigationsgerät gekauft, soll er eine Mail an seinen russischen Kontakt, Evgeniy B, verfasst haben, zeigen Ermittlungsunterlagen. Er habe ihm den AHRS-Prozessor zum Kauf für 152.000 US-Dollar angeboten, also um das Doppelte seines Einkaufspreises.
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Das Bestelldokument für das AHRS, das Markus K. angeblich erstellt hat.PACER
In einer Stellungnahme, die K. über seinen Anwalt schickte, widerspricht er dieser Darstellung. Er habe das Teil lediglich a die indische Firma seines Geschäftspartners weiterverkauft. Dass der Inder dieses und weitere Teile offenbar daraufhin nach Russland weiter exportierte habe, sei ihm nicht bekannt gewesen. Sein Geschäftspartner habe bescheinigt, dass er nicht gegen Sanktionen verstoße.
Mit dem russischen Geschäftsmann hätte K. damals aber regen Austausch gepflegt, so notierte es ein US-Ermittler später. Dieser sei während seiner Recherchen auf "mehrere E-Mails" gestoßen, die "den Verkauf von Flugzeugteilen aus den USA nach Russland" nahelegen würden. K.s Anwalt sagt, dass sein Mandat keine Kenntnis über Lieferungen nach Russland hatte. Für K. und seine Geschäftspartner gilt die Unschuldsvermutung.
Spätestens 2023 sollen Markus K. und sein indischer Partner dann offenbar damit begonnen haben, Luftfahrtkomponenten nach Russland zu verschiffen. Sie sollen gemeinsam jene Teile recherchiert haben, die Markus K. mit seiner österreichischen Firma dann in den USA gekauft haben soll. Das soll laut US-Ermittlern eine Tabelle zeigen, die sie bei der Durchsuchung der iCloud des Burgenländers fanden.
“Kannst du bitte die angehängten Formulare unterschreiben?”
— Markus K. an seinen indischen Geschäftspartner
Am Tag nach dem Kauf des Navigationsgeräts fragte Markus K. seinen Kollegen in einer Mail: "Kannst du bitte die angehängten Formulare unterschreiben?" Für die Ausfuhr kritischer Teile wie eines AHRS-Prozessors fordern die US-Behörden eine Reihe von Unterlagen, etwa ein Sanktionszertifikat, in dem versichert wird, dass er den Prozessor nicht in die Ukraine, nach Belarus oder Russland weiterverkaufen werde. Auch ein weiteres Formular unterzeichnete der Inder an diesem Tag. Darin gab er an, dass der Prozessor für einen zivilen Hubschrauber in Indien bestimmt sei, Kennnummer inklusive.
Statt für einen indischen Hubschrauber sei der AHRS-Prozessor "für einen russischen Endnutzer bestimmt" gewesen, schrieb ein US-Sonderermittler im vergangenen Oktober. Wenige Tage später klickten für K.s indischen Geschäftspartner bei seiner Einreise in die USA am Flughafen in Miami die Handschellen. Der Sonderermittler wirft ihm vor, Teil einer "Verschwörung" zu sein, "um Flugzeugteile für russische Nutzer zu beschaffen". Der Prozess gegen den Inder soll Ende Mai beginnen und ihm drohen bis zu 60 Jahre Haft und eine Strafe bis zu drei Millionen US-Dollar.
In seiner Vernehmung belastete der Inder auch Markus K. Er sei es gewesen, der die angegebene Kennnummer eines indischen Hubschraubers aus einer Datenbank abgeschrieben habe. Dem widerspricht K. in seiner Stellungnahme.
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Eine Übersicht über beschaffte Flugzeugteile mit Gewinnverteilung, angeblich erstellt von Markus K.PACER
Auch die Profite ihrer Geschäfte sollen die beiden Männer und ihr russischer Partner untereinander geteilt haben. In einer Tabelle soll Markus K. penibel notiert haben, wer der drei wie viel von jeder Transaktion erhielt. Der Wert der Geschäfte, die er allein in diesem Dokument vermerkte, soll rund 1,7 Millionen US-Dollar betragen haben.
Doch der Handel war möglicherweise weit lukrativer. In seinem Abschlussbericht erwähnt der US-Ermittler Lieferdaten, denen zufolge die indische Firma zwischen Sommer 2023 und Herbst 2024 mehr als 50 Lieferungen im Wert von insgesamt sechs Millionen US-Dollar an ein einzelnes russisches Unternehmen geschickt haben soll.
Ob gegen K. in den USA ermittelt wird, bleibt unklar. Die zuständige Staatsanwaltschaft wollte sich auf Nachfrage nicht äußern. Es liege derzeit allerdings keine US-Anklage gegen den Österreicher vor.
Laut Robert Kert, Professor für Strafrecht an der WU Wien, könnten die Geschäfte von K. auch gegen österreichisches Recht verstoßen. Eine Auslieferung an die USA dürfte ihm als österreichischer Staatsbürger aber nicht drohen: In der Regel gehen die heimischen Behörden der Verdachtslage selbst nach. Bei Verstößen gegen das Außenwirtschaftsgesetz drohen etwa bis zu fünf Jahre Haft, bei Verstößen gegen das Sanktionengesetz wäre es bis zu einem Jahr.
Ob die US-Behörden mit Österreich Kontakt aufgenommen haben, lässt sich nicht abschließend klären. Das Justizministerium gibt auf Anfrage bekannt, sich nicht über Einzelfälle zu äußern.
Doch K. selbst dürfte nach der Anfrage von Investigate Europe und des Standards aktiv geworden sein. Er ließ wissen, dass er zur Prüfung eine Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft geschickt habe und volle Kooperation zugesichert hätte. Er hielt es aber weder für möglich, noch habe er sich damit abgefunden, gegen Russland-Sanktionen verstoßen zu haben.
In welchem russischen Gerät der AHRS-Prozessor schlussendlich verbaut hätte werden sollen, lässt sich nicht rekonstruieren. Auch nicht, ob er für Fluggeräte gedient hätte, die im Angriffskrieg gegen die Ukraine eingesetzt werden. Die US-Behörden stoppten die Lieferung. K.s indischer Geschäftspartner, dessen russischer Abnehmer, Evgeniy B., sowie die beteiligten Unternehmen ließen Anfragen unbeantwortet. Markus K. bestreitet, gewusst zu haben, dass die Flugzeugteile für Endkunden in Russland bestimmt gewesen seien und widerspricht den angegebenen Lieferumfängen.
In den US-Unterlagen zum Fall gegen den indischen Geschäftspartner versteckt sich allerdings ein Hinweis auf die österreichische Komponente des Falls. Der Sonderermittler schreibt von "laufenden Ermittlungen", die auch K.s Aktivitäten in der Causa betreffen. Hierzulande findet sich nur eine kurze Notiz im Firmenbuch aus dem vergangenen Dezember – also rund zwei Monate nach der Festnahme des indischen Geschäftspartners in den USA. K. teilte mit, dass seine Firma liquidiert wird. Dies sei aus persönlichen und wirtschaftlichen Gründen geschehen, erklärt er auf Nachfrage. Auf seiner Homepage ist nach wie vor zu lesen: "Wir halten die globale Flotte in Bewegung".
Grenzüberschreitende Recherchen aus einem Europa im Wandel, in Ihrem Postfach.
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