Über Gefährliche Wetten Glitzernde Angebote und Bonuswetten locken Millionen Menschen ins Online-Glücksspiel. Doch die raffinierte Werbung führt in ein Geschäft mit der Sucht, dessen Betreiber die staatliche Regulierung unterlaufen und dabei auch vor dem offenen Rechtsbruch nicht zurückschrecken.
Dieser Artikel erschien in leicht gekürzter Form zuerst bei unserem Medienpartner Zeit Online.
Das Tipico-Topspiel. Winamax auf der Brust des VfB Stuttgart. Und Wetten auf allen Kanälen. Wer Fußball schaut, kommt um Werbung für Sportwetten nicht herum. Das liegt an den lukrativen Verträgen, die Fußballvereine und Ligaverbände mit den Anbietern von Glücksspielen geschlossen haben – trotz der zunehmenden Sorgen über die Verbreitung der Spielsucht und trotz Versuchen nationaler Aufsichtsbehörden, Werbung für solche Anbieter einzuschränken. Wie groß das Ausmaß und damit auch die Abhängigkeit des europäischen Fußballs von den Glücksspielanbietern ist, zeigt eine Datenrecherche von Investigate Europe. Von den 442 Mannschaften, die in den 31 erstklassigen Ligen der EU und Großbritanniens spielen, haben 296 in der aktuellen Saison einen oder mehrere Partner für Glücksspiele unter Vertrag. Die Spieler jedes dritten Vereins tragen auch die Logos eines dieser Unternehmen auf den Trikots. In Deutschland trägt nur ein Verein, der VfB Stuttgart, einen Wettanbieter auf dem Trikot. Aber 15 der 18 Bundesligavereine sind mit einem Glücksspielanbieter im Geschäft. In der britischen Premier League sowie den ersten Ligen von Österreich, Ungarn, Schweden, den Niederlanden und Tschechien haben sogar alle Vereine in dieser Saison irgendeine Form von Partner aus dieser Branche. In Italien, Kroatien, Rumänien und Bulgarien kommt jeweils nur ein Verein ohne das Geld der Wettbranche aus. Führend in diesem Geschäft ist die britische Premier League. An deren Eröffnungswochenende der aktuellen Saison strahlten Fernsehsender, Radio und soziale Medien fast 30.000 Werbespots für Glücksspiele aus, 165 Prozent mehr als im Vorjahr, ermittelte Raffaello Rossi, Dozent für Marketing an der Universität Bristol (PDF). Gleich elf Mannschaften haben ein Glücksspiellogo auf ihren aktuellen Trikots. Allein dafür zahlten die so beworbenen Konzerne in dieser Saison umgerechnet rund 135 Millionen Dollar.

Georgina Choleva/Spoovio
Darunter befinden sich auch zahlreiche undurchsichtige Anbieter, die in Steueroasen registriert sind und keiner wirksamen staatlichen Kontrolle unterliegen. Diese Unternehmen seien für die kleineren Vereine attraktiv, weil sie bis zu 10 Millionen Pfund pro Jahr bieten, sagt Kieran Maguire, ein Experte für Fußballfinanzen und Dozent an der Universität von Liverpool.
"Die Vereine sind bereit, nicht allzu genau hinzuschauen, weil sie unter Druck stehen", sagte Maguire. "Der Eigentümer fordert vom Geschäftsführer, 'machen Sie den besten Deal, den Sie bekommen können'. Und so geht es allen Vereinen."
Investigate Europe fand heraus, dass 105 Unternehmen, die 141 Marken betreiben, Verträge mit Clubs in der EU und Großbritannien geschlossen haben. Bei vielen handelt es sich um milliardenschwere Konzerne wie Kindred, Kaizen und Entain sowie um bekannte Marken wie Unibet, Betano, William Hill, Betway und Bwin. Mit dabei sind auch staatliche Unternehmen wie Lotto in Deutschland und VriendenLoterij in den Niederlanden sowie viele Firmen mit Sitz und Pro-forma-Lizenzen aus Offshore-Zentren.

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Ein offensichtlicher Vorteil für die Firmen ist der Zugang zum wichtigsten Zielmarkt: junge Männer. Dabei trägt die Vermarktung über den Fußball dazu bei, Wetten zu normalisieren und "das Fließband für neue Kunden in Gang zu halten", warnt die britische Organisation Gambling with Lives, die mit der Kampagne "The Big Step" für das Verbot von Glücksspielwerbung und -sponsoring im Fußball wirbt. Zugleich gelten Sportwetten als Tor zu schädlicheren, suchterzeugenderen Casinospielen.
"Viele Leute, die auf Fußball wetten, lieben diesen Sport, aber er ist durch das Glücksspiel korrumpiert worden", sagte Tom Fleming von Gambling with Lives. "Viele frühere Spielsüchtige, mit denen wir sprechen, sagen, dass sie nicht länger Fußball schauen können, weil die Vereine sie bei den Spielen mit der Werbung überfluten."
Aber nicht nur in den britischen Ligen, auch im übrigen Europa prangen die Logos von Glücksspielanbietern auf den Trikots der Spitzenvereine. In Bulgarien, Griechenland, Rumänien und Portugal sogar bei mehr als 70 Prozent der Mannschaften in den ersten Ligen. In der deutschen Bundesliga und der französischen Ligue 1 sind Trikotsponsoren selten, aber fast alle Mannschaften haben einen Wett- oder Lotteriepartner1.

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Die Werbeflut für Sportwetten trägt jedoch dazu bei, dass immer mehr Menschen der Spielsucht verfallen und damit sich und ihre Familien ruinieren. Allein in Deutschland schätzen Fachleute die Zahl der Spielsüchtigen auf 1,2 Millionen Menschen. Die Forschung habe zweifelsfrei belegt, dass die Menschen umso häufiger dem Glücksspiel verfallen, je mehr sie der Werbung dafür ausgesetzt sind, sagt Charles Livingstone, Mitglied der Expertenkommission für Glücksspiel und Glücksspielsucht der Weltgesundheitsorganisation.
Die Branche erziele 80 Prozent der Einnahmen bei Menschen mit Spielproblemen, sagt Livingstone. Darum gebe sie so viele Millionen für Werbemaßnahmen aus, "um neue Spieler zu gewinnen. Und die besten Kunden sind diejenigen, die pleitegehen. Sie müssen also ständig neue Spieler rekrutieren, um jene zu ersetzen, die ihr ganzes Vermögen und all ihre Beziehungen verspielt haben".
Tricks gegen Gesetze
Immer wieder versuchen Regierungen und Behörden, dagegenzuhalten. Zuletzt setzten Regierung und Parlament in Belgien im Januar dieses Jahres ein Gesetz in Kraft, das die Sportwettenlogos auf die Ärmel und die Rückseite der Trikots beschränkt. Aber das scheint die Vereine nicht zu kümmern. Ihre Werbepartner aus der Glücksspielbranche kreierten kurzerhand Untermarken, die einen Teil des Unternehmensnamens enthalten, oder fügten ihm Bezeichnungen wie Foundation oder Sports hinzu. Der amtierende Meister Club Brügge zum Beispiel wechselte seinen Trikotsponsor von Unibet zu U-Experts, einer Nachrichten-App von Unibet mit Links zum eigenen Casino-Angebot. Die gleiche Strategie verfolgten Italiens Topvereine, nachdem das Parlament ihnen im Jahr 2018 jede Form von direkter oder indirekter Werbung im Zusammenhang mit Glücksspielen verboten hatte. Die Clubs Inter (Betsson.sport), Parma (AdmiralBet.news) und Lecce (BetItalyPay) zeigen unter Nutzung des oben genannten Tricks bis heute die Marken auf ihren Trikots. Italiens Sportminister Andrea Bodi räumte im März 2023 ein, dass das Verbot umgangen wird. Es sei "heuchlerisch, das Recht auf Wetten zu verbieten" und gleichzeitig "die parallele Kommunikation über dieselben Websites zuzulassen, die lediglich eine Webadresse bewerben, die unweigerlich zu Glücksspielen führt", antwortete er auf eine parlamentarische Anfrage. 
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Der AC Mailand hat sich derweil eine Partnerschaft mit einem Unternehmen gesichert, das europaweit ohne Lizenz operiert. Der Verein schloss im Juli 2024 einen Vertrag mit Boomerang Bet21 ab, obwohl das Unternehmen seine Wetten in Italien und auch in den anderen EU-Staaten gar nicht verkaufen darf. Als deren Eigentümer treten zwei Russen auf, die ihren Wohnsitz in Berlin haben, wie Investigate Europe herausfand. Weder der AC Milan noch die Besitzer von Boomerang haben die Anfragen von Investigate Europe beantwortet. Genauso hält es der zweimalige estländische Meister Nõmme Kalju, der die Firma Marsbet als Trikotsponsor hat1 . Der Eigentümer der Marke ist in Curaçao registriert, einem Land, das für seine laxen Glücksspielgesetze bekannt ist. Marsbet verfügt jedoch nicht über eine nationale Lizenz 3 und steht auf der schwarzen Liste der estländischen Aufsichtsbehörde. In Dutzenden weiterer Fällen waren Firmen, die in einem Land ein Team sponserten, gleichzeitig in einem anderen Land ohne Lizenz tätig, was dazu führte, dass ihre Websites von den Aufsichtsbehörden gesperrt wurden. Dazu gehören Unibet in Griechenland , Novibet und Betsson in Rumänien und Pokerstars in Ungarn . Sogar Bet365, der Sponsor der Uefa-Champions-League, wurde sowohl in Griechenland als auch in Litauen gesperrt. Trotz des rechtlichen Risikos und der Suchtopfer wehren sich Manager der Profivereine gegen die Forderung der Kritiker, das Sponsoring durch Glücksspielunternehmen zu verbieten. Sie wollen oder können nicht auf die Einnahmen verzichten.

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Während einer Debatte in Bulgarien über die Einschränkung der Werbung machte der bulgarische Fußballverband seinen Standpunkt deutlich. "Die Glücksspielindustrie finanziert mehr als zwei Drittel der bulgarischen Clubs", warnte der BFU und fügte hinzu, dass ein Abschneiden der Industrie die meisten Clubs wahrscheinlich in den Bankrott treiben würde.Als 2021 in Spanien ein Verbot für Trikotsponsoren aus der Glücksspielbranche eingeführt wurde, behauptete der Präsident von La Liga, Javier Tebas, dass dies "einen Schaden von 90 Millionen Euro" verursachen würde. Eine ähnliche Ansicht vertrat auch der Präsident der Serie A, als 2018 in Italien Beschränkungen eingeführt wurden. Am 5. März 2025 verabschiedete darum das italienische Parlament einen Entschluss zur Aufhebung des Verbots. Die italienische Verbraucherschutzorganisation Assoutenti teilte daraufhin mit, dass das den Vereinen der Serie A zwar 100 Millionen Euro pro Jahr einbringen wird, der Gesellschaft aber Gesundheitskosten in Milliardenhöhe aufbürde. Auch in Deutschland gibt es einige Einschränkungen, wie etwa das Werbeverbot für Glücksspiel im Fernsehen vor 21 Uhr. Aber die Werbung für Sportwetten ist gleichwohl omnipräsent, insbesondere in den Stadien. Von den 18 Erstligisten haben lediglich der VfL Bochum und der VfL Wolfsburg keinen Glücksspielpartner. Der FC St. Pauli war noch bis 2022 Partner von Bwin, lehnte aber 2023 als erster deutscher Profiverein das Sponsoring von Glücksspielen ab. 
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"Der FC verzichtet damit auf Einnahmen in Höhe von mehreren hunderttausend Euro pro Jahr, was für unseren Haushalt eine relevante Größe ist. Hintergrund der Entscheidung war, dass wir Livewetten auf Smartphones hinsichtlich der Suchtgefahr sehr kritisch sehen, es geht aber auch um die Integrität des Wettbewerbs", erklärte ein Sprecher des Vereins. Gleichwohl wirbt der Verein weiterhin für die Spielbank Hamburg. Als kleinerer, lokaler Partner ist diese jedoch den anderen großen Wettanbietern nicht vergleichbar und hält sich anders als die privaten Anbieter strikt an die Regeln zur Vermeidung von Spielsucht.
Die Deutsche Fußball Liga (DFL), die den Wettanbieter Tipico als offiziellen Partner hat, schreibt auf Anfrage, Verbände und Vereine würden sich an die gesetzlichen Vorgaben halten. "Die rechtlich eingegrenzte Bewerbbarkeit von Sportwetten ist ein zentrales Instrument, um den im Glücksspielstaatsvertrag erwähnten Spieltrieb in geordnete und überwachte Bahnen zu lenken", heißt es. Sie habe eine Schlüsselfunktion für die funktionierende Regulierung von Sportwetten, weil sie dem Erstarken illegaler Angebote entgegenwirke. Dies sei das ausdrückliche Ziel des Gesetzgebers. "Entsprechend war und ist das Angebot von Tipico behördlich lizenziert und reguliert. Die DFL setzt sich seit vielen Jahren für die Prävention von Spielmanipulation und Spielsucht ein."

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Die Niederlande sind schon einen Schritt weiter. Dort ist ein Verzicht auf Gelder aus dem Geschäft mit dem Glück künftig gesetzlich vorgeschrieben. Zwar hat das Parlament in Den Haag das Sponsoring der Vereine durch Glücksspielunternehmen 2021 zunächst legalisiert. Aber das Gesetz wurde umgehend wieder aufgehoben, nachdem die Aufsichtsbehörde einen enormen Anstieg der Wettaktivitäten gemeldet hatte. Nun müssen alle Glücksspielsponsorings bis Juli 2025 verschwinden. Rund ein Drittel der Eredivisie-Clubs, die derzeit einen Wettsponsor auf dem Trikot haben, wird diese Einnahmen verlieren.
Grenzüberschreitende Recherchen aus einem Europa im Wandel, in Ihrem Postfach.
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